Unwahre Darstellungen von Professor Brügelmann

1. Einleitung

Auf der Domain www.die-grundschrift.de wurde mit Datum vom 15.05.2015 unter der Überschrift »Empirische Befunde zur Handschrift« ein Artikel von Professor Hans Brügelmann mit dem Titel „Von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift“ zum öffentlichen Download eingestellt. Auf der gleichen Domainseite veröffentlicht der Grundschulverband noch einen weiteren Artikel vom gleichen Autor (Titel: „Direkter Weg von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift”) aus dem Jahr 2014 in leicht redigierter Version. In beiden Veröffentlichungen tätigt Brügelmann sachlich unwahre Aussagen über Inhalte von empirischen Studien, die im Folgenden dargestellt werden.

2. „Von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift“ Brügelmann 2015

2.1 Unwahre Aussage zur Untersuchung von Meis (1963)

Die Stellen mit den unwahren Behauptungen sind in den folgenden Zitaten durch Unterstreichung hervorgehoben.

„Meis (1963) führte mehrere Studien in NRW mit mehr als 3.700 Schulanfängern durch, um zu überprüfen, welche Schriftform sie (noch ohne Unterweisung) am leichtesten kopieren könnten: Druckschrift, (»Stein«-)Blockschrift oder die lateinische Ausgangsschrift. Auch er stellte Vorteile für die unverbundene Schrift fest: Die Druckschrift-Schreiber hatten weniger Fehler und schrieben schneller. Je schwieriger das zu schreibende Wort war, desto mehr wuchs der Vorsprung der Druckschrift-Schreiber.” (zit. n. Brügelmann, 2015, S. 5; Hervorhebungen durch Unterstreichung durch den Verfasser)

Kommentar zur Richtigstellung: Meis (1963) untersuchte Erstklassanwärter und vor kurzem eingeschulte Erstklässler. Während im Schulamtsbezirk Essen VI 1556 Erstklassanwärter ziemlich genau 2 Monate vor dem eigentlichen Einschlungstermin (damals üblich nach den Osterferien) untersucht wurden, fanden in den im Schulamtsbezirk Essen IV Untersuchungen an 1425 Kinder und im Schulamtsbezirk Solingen die Untersuchungen an 1550 Kindern bald nach dem Start des Schuljahres nach Ostern statt. Meis ließ durch Studenten und Lehrkräfte die Formtreue beim Abmalen von Buchstaben (Essen VI: Nur Großbuchstaben der Gemischt-Antiqua [=Steinschrift] vs. Gemischt-Antiqua vs. Lateinische Ausgangsschrift. Essen IV / Solingen: Gemischt-Antiqua vs. Lateinische Ausgangsschrift.) beurteilen ohne dabei irgendeine Zeitmessung vorzunehmen. Die Aussage von Brügelmann »schrieben schneller« deckt sich nicht mit den Studieninhalten und ist daher unwahr. Die diesbezüglichen Angaben in der Kategorie »Schnelligkeit« (siehe Tabelle 1 und Tabelle 2 bei Brügelmann 2015:2) sind folglich als inkorrekt und irreführend einzustufen.

Sehr tendenziös wirkt es, den Schulanfängern das Etikett »Druckschrift-Schreiber« überzustülpen, wenn Meis (1963) selbst von „Nachmalen“ spricht (vgl. ebd. S. 7). Auch ist es missverständlich, wenn Brügelmann in seiner Studienbeschreibung von „Fehlern“ spricht, da hier eine Verwechslung mit Rechtschreibfehlern stattfinden könnte, die Studie selbst jedoch drei Qualitätstufen bei den nachgemalten Wörtern unterscheidet.

2.2 Unwahre Aussage zur Untersuchung von Mai 1991

Eine andere von Brügelmann angeführte Studie ist die Untersuchung von Mai (1991), zu der er eine weitere unwahre Aussage tätigt:

„Mai, N. (1991, vgl. ergänzend Mai u. a. 1997) berichtet über eine Laborstudie mit 11 Erwachsenen und einem Kind, in der Schreibbewegung und -druck im Detail untersucht wurden, allerdings beschränkt auf Mikroanalysen, also nicht beim Schreiben größerer Texte.” (zit. n. Brügelmann, 2015: 5; Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser)

Kommentar zur Richtigstellung: Mai (1991) stellt in seiner Untersuchung die Schreibgeschwindigkeiten für die Anfertigung einer kleineren Auswahl von Einzelbuchstaben und zweielementigen Buchstabengruppen gegenüber. Seine Untersuchung umfasst jedoch nicht die Variable Schreibdruck. Erst in der Diskussion schhließt Mai (1991) in allgemeiner Form seine Vermutungen über den Schreibdruck an. Die Aussage von Brügelmann (2015), die Untersuchung von Mai (1991) liefere Ergebnisse zum Schreibdruck, ist daher unwahr. Die entsprechenden Angaben in Tabelle 1 und Tabelle 2 (vgl. Brügelmann 2015: 2) müssen als fehlerhaft und irreführend eingestuft werden, sie gaukeln dem Leser nichtexistente empirische Ergebnisse vor.

2.3 Fehlerhafte Aussage zur Untersuchung von Jackson (1971)

Eine weitere von Brügelmann angeführte Studie ist die Untersuchung von Jackson (1971), zu der er eine weitere unwahre Aussage tätigt.

„Deshalb führte er eine eigene Untersuchung mit 165 Schüler/innen der 4., 5. und 6. Klassen aus zwei Schulen durch, die beide mit der Druckschrift begannen, von denen aber nur eine danach zu einer Normschrift wechselte.“ (Brügelmann 2015: 5; Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser)

Kommentar zur Richtigstellung: Jackson (1971) erhob Daten von insgesamt 165 Untersuchungspersonen, in die Studie wurden aufgrund einer angestrebten Stichprobenparallelisierung jedoch nur 108 Untersuchungspersonen einbezogen (vgl. ebd. S. 40).

3. „Direkter Weg von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift“von Brügelmann (2014)

3.1 Unwahre Aussage zu Morin et al. (2012)

„Entsprechend haben Feldstudien in den USA und in Kanada gezeigt, dass eine durchgängig verbundene Schrift eher langsamer und weniger gut lesbar ist als eine teilverbundene Druckschrift (vgl. Graham u.a. 1998; Morine u.a. 2012) – ein Ergebnis, das Meis (1963) übrigens schon vor 50 Jahren in deutschen Grundschulen gefunden hatte.”(zit. n. Brügelmann 2014; Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser; unkorrekte Schreibung von Morin im Original)

Kommentar zur Richtigstellung: Die Studie von Morin et al. (2012) vergleicht zunächst die Qualität von geschriebenen Einzelbuchstaben und findet keine statistisch bedeutsamen schriftstilabhängigen Unterschiede. Bei der Menge der geschriebenen Einzelbuchstaben schneidet der verbundene Schriftstil (statistisch signifikant) am langsamsten ab. Bei der Schreibung von Einzelworten (über einen Zeitraum von 5 Minuten) wie auch beim Schreiben eines Textes ergaben sich keine schreibstilabhängigen signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Menge der geschriebenen Wörter. Die Schriftqualität der Einzelwörter und des Textes wurde von den Autorinnen nicht untersucht. Da die Aussage über die weniger gute Lesbarkeit von verbundenen Schriften kein Untersuchungsergebnis der Studie von Morin et al. (2012) ist, muss die von Brügelmann im Zitat getätigte Aussage unwahr und irreführend eingestuft werden.

Die Autorinnen schließen mit folgendem Statement, in dem sie auf eine Tendenz zugunsten des verbundenen Schreibens (also keinen durchgehend signifikanten Effekt) hinweisen: „This finding lends support to the idea that the developement of writing skills in primary school is better served by teaching a single handwriting style (cursive or manuscript) to avoid dual learning. In this regard a trend emerged for Cursive style students who were the only ones, who showed an improvement in syntax [signifikante Differenz]. Moreover, the advantage of this style can also be seen in improved word production by the end of the year [Tendenz, jedoch keine signifikante Differenz]. “ (zit. ebd. S. 121; Hinzufügung in eckigen Klammern durch den Verfasser)

3.2 Unwahre Behauptung über die Untersuchung von Meis (1963)

„Entsprechend haben Feldstudien in den USA und in Kanada gezeigt, dass eine durchgängig verbundene Schrift eher langsamer und weniger gut lesbar ist als eine teilverbundene Druckschrift (vgl. Graham u.a. 1998; Morine u.a. 2012) – ein Ergebnis, das Meis (1963) übrigens schon vor 50 Jahren in deutschen Grundschulen gefunden hatte.”(zit. n. Brügelmann 2014; Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser; unkorrekte Schreibung von Morin im Original)

Kommentar zur Richtigstellung: Meis (1963) untersuchte nicht die „Lesbarkeit von Schriften“, sondern die Formtreue beim Nachmalen von Schriftvorgaben. Eine „teilverbundene Druckschrift“ fand sich unter den Vorlagen bei Meis nicht, weshalb sie auch nicht von ihm untersucht wurde. Siehe hierzu die obige Darstellung der Studie von Meis (1993) in Abschnitt 2.1. Die von Brügelmann mit der Studie von Meis in Zusammenhang gebrachten Ergebnisse sind nicht Teil dieser Studie. Brügelmanns Aussagen zu »Lesbarkeit« und „teilverbundener Druckschrift“ sind im Zusammenhang mit der angeführten Untersuchung von Meis (1963) unwahr und irreführend.

3.3 Höchst tendenziöse Behauptung von „Grundlagenforschung“

„Dagegen zeigt die Grundlagenforschung, dass man schneller und entspannter schreibt, wenn die Bewegung nicht durchgehend auf dem Papier verlaufen muss, sondern durch Luftsprünge auch bei Richtungswechseln im Fluss bleiben kann (vgl. die Zusammenfassungen der Studien u. a. von Mai, Marquardt und Quenzel bei Mahrhofer-Bernt 2004; 2010).”(zit. n. »Direkter Weg von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift« von Prof. Dr. Hans Brügelmann. Leicht redigierter Auszug aus: Schreibschrift und Rechtschreibunterricht. CDU kritisiert unsachlich. In: b&w („Bildung und Wissenschaft“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg), 68. Jg., H. 9, 25-27. Quelle: http://www.die-grundschrift.de/konzept/forschung/bruegelmann; Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser)

Kommentar zur Richtigstellung: Liest man bei Mahrhofer 2004 nach, so fasst diese die „Grundlagenforschung“ wie folgt zusammen:

„Die Arbeiten von Mai und Mitarbeitern (vgl. u. a. Mai 1991, Mai & Marquardt 1992[#], Mai & Marquardt 1995b, Quenzel 1994), die sich überwiegend auf die rehabilitative Schreibförderung im Zusammenhang mit Schreibstörungen bei Erwachsenen beziehen, bilden erst den Anfangspunkt eines Forschungsansatzes, der sich auch auf die Schreiberziehung allgemein und somit vor allem im Bereich der Grundschulpädagogik und -didaktik auf den Bereich der Schreiberziehung auswirken muss.“ (zit. n. Mahrhofer 2004: 104; Hervorhebung durch den Verfasser; die mit # gekennzeichnete Literaturstelle findet sich nicht im Literaturverzeichnis von Mahrhofer 2004, statt dessen findet sich eine Veröffentlichung von Mai 1992, die in der untenstehenden Tabelle angeführt wird)

Mahrhofer selbst wertet die Studien als Anfangspunkt eines Forschungsansatzes. Wenn Brügelmann einen derartigen Anfangspunkt bereits zur „Grundlagenforschung“ hochstilisiert, kann das auch angesichts der bescheidenen Anzahl von Untersuchungspersonen, die bei den angeführten Studien einbezogen wurden, nur als Wunschdenken und unwahre Darstellung, nicht jedoch als Tatsache durchgehen (s.u. Tabelle 1).

Studie Anzahl UPN gesamt Anzahl Erwachsene Anzahl Kinder
Mai 1991

12

11

1

Mai 1992

4*

4*

0

Mai & Marquard 1995b

21

21

0

Quenzel & Mai 2000**

24

10

14

Summe

61

46

15

Tabelle 1: Übersicht über die Anzahl der Untersuchungspersonen, in den Studien, auf die Brügelmann Bezug nimmt. * Mai führt hier nur 4 Abbildungen von computeranalysierten Schriftproben an. ** Da mir die Originalarbeit von Quenzel (1994) als unveröffentlichte Diplomarbeit nicht vorliegt, werden die bei Quenzel & Mai 2000 angeführten UPN-Zahlen verwendet.

Literatur

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