Die Behauptung über das Verbinden von maximal 2-3 Buchstaben durch routinierte Schreiber

Ausgangslage

Die Behauptung von Grundschriftbefürwortern, dass routinierte Schreiber im Regelfall nur zwei bis drei Buchstaben am Stück verbinden würden, um dann eine kurze räumliche Unterbrechung eines Schriftzugs (z.B. in Form eines Luftsprunges oder eines größeren Abstandes zwischen Buchstaben) vorzunehmen, wird in Form einer allgemeingültigen Aussage von hoher Verlässlichkeit in Veröffentlichungen (s.u.) wiederholt vorgebracht. Sie findet sich häufig im Zusammenhang mit der Annahme, dass auf einen hohen Verbindungsrad bei das Schreiben lernenden Kindern verzichtet werden könnte, weil Erwachsene später den Verbindungsgrad innerhalb ihrer Schriftausführung verringern würden. Die Aussage, dass routinierte Schreiber maximal 2-3 Buchstaben verbinden würden, wird zumeist mit der Veröffentlichung von Norbert Mai aus dem Jahr 1991 (oder auch später liegenden Veröffentlichungen zum Teil verschiedenen Koautoren) in einen Zusammenhang gestellt. Von Mai selbst findet sich jedoch zurückreichend bis zum Jahr 1988 (Mai 1988; Mai/Schreiber 1988) keine Studie, in der eine benannte oder gar repräsentative Anzahl routinierter Schreiber von ihm diesbezüglich tatsächlich systematisch untersucht worden wäre. Auch führt Norbert Mai (und assoziierten Koautoren) keine anderen Literatur- oder Studienbelege sonstiger Wissenschaftler an, die diese These stützen würden.

Es finden sich jedoch bei Norbert Mai in seinen thematisch primär rehabilitationsbezogenen Veröffentlichungen immer wieder Hinweise darauf, dass er die damals gängigen Schulschriften als ungeeignet, motorisch überfordernd und nicht bewegungsoptimiert einstuft (z.B. Mai/Schreiber 1988: 180f., Mai 1991, Mai 1992: 85; Mai/Marquardt 1995b: 27-31, Mai/Marquardt, 1998: 96ff.). Spätestens mit dem von ihm gewählten Aufsatztitel »Warum wird Kindern das Schreiben schwer gemacht?« aus dem Jahr 1991 positioniert sich Mai als selbstberufener „Schriftreformer”.

In den Artikeln der Grundschriftbefürworter wird die Behauptung von Mai jedoch häufig wie eine belegte Tatsache angeführt und wiederholt zitiert, so dass der Eindruck entsteht, Norbert Mai habe irgendwann tatsächlich eine Studie über Schriftcharakteristiken routinierter Schreiber vorgelegt. Auch in Veröffentlichungen jüngeren Datums (Bartnitzky 2005; Bartnitzky 2010; Menzel 2010), die die gleiche Behauptung anführen, werden ebenfalls keine konkreten Studien- oder Literaturbelege angeführt. Inhaltlich wird das behauptete Absetzen des Stiftes nach 2-3 Buchstaben ausschließlich in einen Zusammenhang mit kurzzeitiger Muskelentspannung gesetzt. Die These die hierbei vertreten wird ist, dass durch das Absetzen des Stiftes (sog. „Luftsprung“, Innehalten zwischen Buchstaben) die Schreibmuskulatur eine kurze Entspannung erfahre. Für diese These der Entlastung der Schreibmuskulatur gibt es keine wirklich belastbaren Studienbelege. Alternative Erklärungen für das Entstehen von rhythmischen Veränderungen und Verzögerungen im Schreibfluss wie die Durchgliederung in Abhängigkeit von Silbenstrukturen beim Schreibvorgang (vgl. z.B. Baurmann 2001: 208f., Weingarten/Nottbusch/Will 2004: 565f.) finden bei Grundschriftbefürwortern keine Berücksichtigung. Zur alternativen Herleitung von Schreibunterbrechungen sei an dieser Stelle Nottbusch (2008) angeführt:

„In der durchgeführten Handschriftenuntersuchung konnten Spuren der Silbensegmentierung bei allen teilnehmenden Kindern einer fünften Klasse nachgewiesen werden. Zu Beginn der Wortschreibung zeigte sich hier an allen hier untersuchten Variablen (Reaktionszeit sowie Verzögerungen im Schriftzug und im Schreibfluss) sowohl ein Effekt der Silbenzahl im Wort (siehe Abbildung 11A-C, Seite 104) als auch der Länge des Silbenanfangsrandes (siehe Abbildung 12A-C, Seite 105). Innerhalb der Wörter traten erwartungsgemäß wie bei erwachsenen Schreibern die längsten Verzögerungen dort auf, wo Silben- und Morphemgrenzen zusammenfielen. Dieser Effekt trat bei allen Kindern an mindestens einer der hier untersuchten Variablen (Abhebungsdauer [auch: Luftsprungpausen], Pausen innerhalb der Schriftzüge [auch: Schriftzugpausen] und Flüssigkeit der Bewegung, siehe Seite 100) auf.” (ebd.: 143)

Schlussfolgerung

Dem arglosen Leser wird durch die Strategie des wiederholten Selbst- bzw. Fremdzitierens bei äußerst fragwürdiger empirischer Basis und durch fehlende Berücksichtigung von Alternativerklärungen wie der (motorischen) Rhythmisierung des Schreibprozesses durch Vorgänge der Silbensegmentierung beim Schreiben der Anschein vermeintlicher wissenschaftlicher Fundiertheit und Abgesichertheit vorgegaukelt, während gleichzeitig keine spezifischen Literaturbelege für die getroffenen Aussagen angeführt werden. Besonders in den jüngeren Darstellungen (s.u. beginnend mit Bartnitzky 2005) finden sich erhebliche Überziehungen und Verallgemeinerungen, während gleichzeitig damals schon veröffentlichte Alternativhypothesen keine Berücksichtigung erfahren. Diese Vorgehensweise stufe ich als unverantwortlich und unredlich ein, da sie den Leser unzureichend informiert, aufgestellte Behauptungen und Argumentationen nicht nachvollzogen werden können und die Verallgemeinerbarkeit von Aussagen nicht belegt wird.

Belege

Die oben getroffene Schlussfolgerung wird nun mit einer kommentierten Zitatenliste belegt, die gleichzeitig die zeitliche Abfolge der Selbst- und Fremdzitierungen im Bereich der Schriftreformer ab 1988 und der Grundschriftbefürworter ab 2005 nachvollzieht.

1988 Mai/Schreiber

„Eine routinierte Schrift (Abb. 2) zeigt dagegen zahlreiche Unterbrechungen innerhalb eines einzelnen Wortes, bei denen der Stift abgehoben wird. Selten sind mehr als zwei bis drei Buchstaben direkt verbunden. Direkte Verbindungen kommen nur dort vor, wo sich die Verbindung aus dem Bewegungsablauf ergibt. Dafür werden Zusammenfassungen von Buchstaben verwandt (vgl. Abb. 5), die eine Vereinfachung der erforderten Bewegungen erlauben. Die Buchstaben sind gegenüber der Schulvorlage deutlich vereinfacht, ähneln mehr den Druckbuchstaben und erfordern erhebliche einfachere Bewegungen.” (Mai/Schreiber 1988: 181; Hervorhebung durch d. Verfasser)

Kommentar: Dies ist die zeitlich früheste Erwähnung über das Absetzen nach 2-3 Buchstaben ohne Bezug zu einer eigenen oder fremden Studie in Form eines Literaturbelegs. Sie enthält die Verallgemeinerung „eine routinierte Schrift” sowie mit der Häufigkeitsaussage „selten” eine Verallgemeinerung, die eine systematische Analyse suggeriert. Die im Original angeführte Abbildung 2 zeigt nur ein Schriftbeispiel.

1991 Mai

„Wiederum ist es lehrreich routinierte Schriften im Detail zu analysieren. Routinierte Schreiber setzen im Unterschied zur Schulschrift nach 2-3 zusammengeschriebenen Buchstaben den Stift ab (Abb. 5). Die resultierenden kurzen Pausen können zu einer Entspannung genutzt werden.” (Mai 1991: 16f.) [Hervorhebung d. Verf.]

Kommentar: Nun wird der Eindruck erweckt, dass eine größere Anzahl von Schriften untersucht wurde „routinierte Schriften” ohne diesbezüglich jedoch nähere Angaben zu machen. Eine Literaturangabe mit Studienbeleg wird wiederum nicht angeführt. Die angegebene Abbildung 5 zeigt die Worte »Feuerwehrmann« und »Großrettungswagen« „nach der Norm der Schulschrift” (zit. ebd. S. 17) und die Worte »Funktionstüchtig« sowie »revolutionär« „in der Schrift eines Erwachsenen” (zit. ebd. S. 17), was noch nicht einmal einen Vergleich zwischen verschiedenen Schreibungen beim gleichen Wort ermöglicht. Die Passage „können zu einer Pause genutzt werden” trägt in ihrer Formulierung eindeutig hypothetischen Charakter.

1992 Mai

Routinierte Schreiber setzen im Unterschied zur Schulvorschrift nach zwei bis drei Buchstaben den Stift ab. Die kurzen „Luftsprünge” liegen in einem Zeitbereich von 150-300 ms, und dies reicht zur Entlastung der Muskulatur. Patienten müssen meist erst wieder lernen, die Muskulatur in solchen Pausen bewußt zu entspannen.” (Mai 1992: 85) [Hervorhebung durch d. Verf.]

Kommentar: Es zeigt sich bei Mai die gleiche Vorgehensweise wie 1988 und 1991in Form von fehlenden Literatur- und Studienbelegen. Nun formuliert Mai ein Jahr später schon deutlich mehr Bestimmtheit, dass Luftsprünge muskulaturentlastend seien.

1995a Mai/Marquardt

„Es ist daher nicht verwunderlich, daß kaum einer, der viel schreibt, die Schulschrift beibehält. Statt der umständlichen Buchstaben werden deutlich vereinfachte Formen eingesetzt. Statt wie in der Schule vorgeschrieben, möglichst viele Buchstaben in einem Wort zu verbinden, binden routinierte Schreiber selten mehr als zwei bis drei Buchstaben zusammen. Danach wird der Stift abgehoben und in der Luft weitergeführt. Es spricht vieles dafür, daß diese »Luftsprünge« genutzt werden, um die Muskulatur zu entlasten.” (Mai/Marquardt 1995a: 568) [Hervorhebung durch d. Verf.]

Kommentar: Der Textpassage folgt nur der Hinweis auf die Untersuchung von van der Gon und Thuring (1965), die jedoch auf das Thema Schreibdruck bei längerer Schriftspur fokussiert. Wir finden wiederum implizite quasirepräsentative Häufigkeitsaussagen über Vielschreiber „kaum einer” in Verbindung mit der bereits bekannten Verbindungsmenge von 2-3 Buchstaben ohne Studienbeleg. In der Formulierung „es spricht vieles dafür” wird nun wiederum eine eher hypothetische Plausibiliätsannahme im Sinne eines »es erscheint und schlüssig« aufgestellt.

1995b Mai/Marquardt

„Offenbar lösen routinierte Schreiber diese Problem [des mit der Länge der Schriftspur ansteigenden Schreibdrucks Anm. d. Verfassers] dadurch, daß sie selten mehr als 2-3 Buchstaben miteinander verbinden, ansonsten aber von einem Buchstaben zum nächsten springen. Die in der Schule vorgeschriebene Produktion von langen Ketten von Buchstaben fördert lediglich zusätzliche Verspannung der Muskulatur in einer Lernsituation, in der die Feinmotorik durch zu hohe Muskelanspannung ohnehin schon behindert wird.” (Mai/Marquardt 1995b: 29) [Hervorhebung durch d. Verf.]

Kommentar: Dieser Textpassage war der Verweis auf die Untersuchung von van der Gon und Thuring (1965) vorangestellt, welche auf das Thema Schreibdruck bei längerer Schriftspur abhebt. Wiederum finden sich keine Hinweise auf eine Untersuchung oder weiterführende Literatur zum Verbindungsgrad. Dass neben behaupteter Muskelverspannung auch andere Aspekte der deutschen Sprache gefördert werden können, wenn Schüler befähigt werden, auch längere Wortketten zu bewältigen bleibt in dieser Textpassage völlig unberücksichtigt. Dem diesbezüglich interessierten Leser sei zur Einschätzung von »langen Ketten von Buchstaben« an dieser Stelle ein Verweis auf Wikipedia unter dem Stichwort »Wortlänge« mit statistischen Kennwerten zu durchschnittlichen Wortlängen ans Herz gelegt.

1997 Mai/Marquardt/Quenzel

„Schon lange ist bekannt, daß der Schreibdruck und die Griffkraft, mit der ein Stift gehalten wird, drastisch mit der Länge der Schriftspur anwachsen. (Denier van der Gon/Thuring 1965). Routinierte Schreiber lösen dieses Problem dadurch, daß sie selten mehr als 2-3 Buchstaben, miteinander verbinden, ansonsten aber den Stift zwischen benachbarten Buchstaben abheben. Diese Luftsprünge dauern 220 ms und länger und reichen vermutlich aus, um die beim Schreiben aktivierten Muskeln zu entlasten. Die Analyse routinierter Schreibbewegungen hat gezeigt, daß bevorzugt Buchstaben zusammengeschrieben werden, die verbunden schneller als getrennt geschrieben werden können (z.B. »le«, »au« , »ei« , oder »ch«). Im Unterschied dazu setzen die meisten Schreiber vor Linksovalen den Stift ab. Messungen haben gezeigt, daß solche Buchstabenkombinationen (z.B. »lo«, »nd«, »ig«, »la«, »ec«) getrennt schneller als verbunden geschrieben werden (Mai 1991).” (zit n. Mai/Marquardt/Quenzel 1997: 226) [Hervorhebung kursiv im Original; Hervorhebung durch den d. Verf.]

Kommentar: Hier zitieren Mai, Marquardt & Quenzel (1997) den Artikel von Mai (1991), siehe oben) und Koautoren in Form von Mai (1991) quasi selbst. Die angeführte Literaturstelle von 1965 deckt den Folgesatz („Routinierte (...)”) inhaltlich nicht mehr ab. Erst der nächstfolgende Satz („Die Analyse (...) …”) bezieht sich unmittelbar auf dargestellte Inhalte im Artikel von Mai (1991). Jedoch können die beiden sehr inhaltsähnlichen Satzanfänge („Routinierte Schreiber” und „Die Analyse routinierter Schreibbewegungen”) dem Leser, der die Primärliteratur nicht kennt, suggerieren, es lägen auch im ersten Satz überprüfte Inhalte aus der gleichen Untersuchung von Mai vor. Auch in dieser Textpassage verbleibt die Verknüpfung zwischen Luftsprung und Muskelentlastung eine »Vermutung«.

2005 Bartnitzky

„Dazu dient das Absetzen, bei routinierten erwachsenen Schreibern spätestens nach drei Buchstaben.” (Bartnitzky 2005: 10) [Hervorhebung d. Verf.]

Kommentar: Während Mai/ Marquardt/ Quenzel (1997, s.o.) immerhin noch die Möglichkeit des überschreitens einer Buchstabenmenge von 2-3 Buchstaben einräumen, behauptet Bartnitzky 8 Jahre später durch die Formulierung »spätestens nach« eine feststehende definierbare Obergrenze des verbundenen Schreibens bei routinierten Schreibern. Es fehlen Hinweise auf Literatur- oder Studienbelege. Dem mitdenkenden Leser mag spätestens jetzt deutlich werden, dass Bartnitzky an dieser Stelle Unwahrheiten verbreitet, wenn er ausschließt, das erwachsene Schreiber z.B. die gebräuchlichen Wortendungen heit, keit, lich nur unverbunden bewältigen könnten.

2010 Bartnitzky

„Auf dem Weg zur individuellen Handschrift ist dies aber ein Umweg, weil Handschriften geübter Schreiber nie alle Buchstaben in grafischer Spur sichtbar miteinander verbinden. In der Regel wird auch bei einer verbundenen Schrift nach drei Buchstaben abgesetzt. Es gibt dann Luftsprünge im Wort. Die Verbindung zwischen den Buchstaben wird dabei nicht unterbrochen, die Spur erfolgt nur in der Luft und ist nicht als grafische Spur auf dem Papier sichtbar (siehe in diesem Heft: Mahrhofer-Bernt, S. 27).” (Bartnitzky 2010: 8 [Hervorhebung d. Verf.])

Kommentar: Zunächst versteigt sich Bartnitzky im obigen Textabschnitt durch die Formulierung „nie” zu einer »Gesetzesaussage« von höchster, eherner Allgemeingültigkeit. Er definiert nun auch den Verbindungsgrad beim explizit verbundenen Schreiben und scheint dabei zu verkennen, dass es einem geübten Schreiber durchaus möglich ist, 10 und mehr Buchstaben verbunden am Stück schreiben zu können, ohne dabei übermässig zu verkrampfen. Gleichzeitig scheint Bartnitzky wieder eine minimale Lockerung seiner im Jahr 2005 (s.o.) behaupteten feststehenden Obergrenze von 3 verbundenen Buchstaben vorzunehmen, wenn er jetzt 3 verbundene Buchstaben als „Regelfall” behauptet. Es erfolgt seinerseits erneut kein Literaturverweis auf Untersuchungen, die seine Behauptungen stützen oder belegen würden. Die im Zitat angeführte Seite 27 aus einem Nachbarartikel beinhaltet keine Untersuchung oder Literaturangabe.

2010 Menzel

„Die Aufmerksamkeit richtete sich auch auf unverbundene Alltagsschriften Erwachsener. Dabei ermittelten wir die in diesen Schriften sichtbaren »Lücken« zwischen einzelnen Buchstaben, die von einem Buchstaben bzw. von einer Buchstabengruppe zu einer anderen »übersprungen« worden sind. Es stellte sich heraus, daß die meisten Wörter von solchen »Lücken« bestimmt sind. Einige Buchstaben werden zwar fast immer miteinander verbunden, aber es sind in der Regel nicht mehr als zwei oder drei.” (Menzel 2010: 24 [Hervorhebung d. Verf.])

Kommentar: Anscheinend hat Professor Menzel Schwierigkeiten, angemessen und widerspruchsfrei zu beschreiben, was er eigentlich untersucht hat. Er berichtet von »unverbundenen Alltagsschriften« Erwachsener, in denen einige Buchstaben »fast immer miteinander verbunden« werden, dann jedoch auch wieder Lücken auftauchen. Möglicherweise meint Menzel damit teilverbundene Alltagsschriften Erwachsener mit eher geringem Verbindungsgrad. Auch hier lassen die fehlenden Literaturverweise keinen genaueren Einblick auf die Methodik oder Repräsentativität seiner professoralen „Aufmerksamkeit” zu. -Daten werden nicht geliefert.

2010 Mahrhofer-Bernt

„Aus graphomotorischer Sicht ist der Luftsprung - und gleichsam das Absetzen an geeigneten Punkten innerhalb eines Buchstabens - neu zu bewerten. Ging man lange Zeit davon aus, dass das Absetzen und die Luftsprünge beim Schreiben den Bewegungsfluss unterbrechen, weisen uns die Ergebnisse von Mai et al. (1991 ff.) einen neuen Weg der Auslegung. Je ungeübter eine Hand beim Schreiben ist, desto kontrollierter wird die Schreibbewegung ausgeführt. Die Anspannung der Handmuskulatur nimmt in kürzester Zeit deutlich zu. Während des Anhaltens der Bewegung und noch mehr während eines Luftsprunges, beides oft nur von Dauer einiger Millisekunden, bietet sich der am Schreiben beteiligten Handmuskulatur die Möglichkeit zu entspannen, ehe die Schreibspur weiter auf das Papier produziert wird. Schreibmotorisch günstiger ist demnach gerade für Schreibanfänger eine Schrift, die Entspannung durch Absetzen oder Luftsprünge zulässt. Ein übergeordnetes Prinzip der Verbundenheit würde dem entgegenwirken. ” (zit. n. Mahrhofer-Bernt (2010): Schreibenlernen mit der Hand: Populäre Mythen und Irrtümer, Grundschule aktuell, 110, S. 27)

Kommentar: Auch Mahrhofer-Bernt beruft sich wiederum auf Mai 1991 ohne sonstige Belege für die von ihre vertretene These eines "in kürzester Zeit" deutlich zunehmenden Anspannungszustandes, der dann in Millisekunden eine Auflösung erfährt. Es wärewirklich schön,wenn wir anstatt einer regelmässiogen Wiederholung des gleichen Interpretationsschemas tatsächlich auch einmal Zahlen, Daten, Fakten präsentiert bekämen. Aber auch Mahrhofer-Berntbegnügt sich mit der Kolportage von Glaubensansichten.

2011 Bartnitzky

„Die Notwendigkeit zur sichtbaren Verbindung der Buchstaben auf dem Papier ist aber eine irrige Annahme, wie die Erfahrung sowie wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Erwachsene Schreiber setzen im Wort durchschnittlich nach zwei bis drei Buchstaben ab.” (Bartnitzky, 2011: 17 [Hervorhebung d. Verf.])

Kommentar: Hier bezieht sich Bartnitzky nun ausdrücklich auf „wissenschaftliche Untersuchungen”, ohne jedoch eine Literatur- oder Studienangabe anzuführen, und es verbleibt damit auch offen, auf wessen Erfahrung er sich beruft. In dieser Textpassage liegt außerdem eine inhaltliche Abweichung gegenüber den vorherigen Aussagen vor, da Bartnitzky nun behauptet, dass erwachsene Schreiber „durchschnittlich nach zwei bis drei Buchstaben” den Stift absetzten. Wie und von wem dieser Durchschnitt berechnet wurde und welche Varianz diesem Durchschnittwert innewohnen könnte, führt er nicht an.

2011 Grundschulverband

Nach zwei, drei höchstens vier sichtbar verbundenen Buchstaben heben Kinder wie Erwachsene häufig kurz den Stift vom Blatt, auch im Wort, wenn auch nur für Millisekunden: So entspannen sie die Muskulatur und vermeiden unökonomische Hin- und Herbewegungen auf dem Papier. Das übrigens ist nicht nur gängige Alltagserfahrung, sondern durch wissenschaftliche Studien belegt.” (zit. n. Pressemitteilung des Grundschulverbandes: Grundschrift notwendige Klarstellungen, vom 18.07.2011, S. 3)

Kommentar: Nun wartet der Grundschulverband mit einer neuen Obergrenze „höchstens vier” auf. Studienbelege oder Literaturangaben werden nicht angeführt. Interessant erscheint es, dass mittlerweile auch erwachsene Schreiber 4 Buchstaben nacheinander verbinden können, was Bartnitzky 2005 noch als unrealistisch betrachtete. Wie es zu diesem »Fertigkeitenzuwachs« gekommen sein könnte, verbleibt unklar. (Ich persönlich gehe ich davon aus, dass wohl jemand dem Grundschulverband klargemacht haben wird, dass die diesbezüglichen Aussagen des von 2000 bis 2010 als Vorsitzenden fungierenden Bartnitzky wohl doch etwas realitätsfremd daherkommen.) Damit wäre dann vom Grundschulverband eigentlich auch eine Art „Obergrenze” definiert, bis zu der Kinder im Schreibunterricht zum verbundenen Schreiben befähigt werden könnten. Es wäre an dieser Stelle nun interessant, wann (z.B. in welcher Klassenstufe) der Grundschulverband meint, dieses Ziel erreicht zu wollen. Auch wird in diesem Textabschnitt die behauptete motorische Entspannung mittlerweile als Tatsache behauptet.

2013 Grundschulverband

„Zum Bewegungsablauf gibt es nützliche Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien, die computergestützt Schreibbewegungen analysieren. Kurz ein Blick in einige der Ergebnisse, die für die Schriftentwicklung wichtig sind:

„Sie werden in der Regel feststellen, was auch aus Computer gestützten wissenschaftlichen Studien bekannt ist: Beim zügigen Schreiben setzt der routinierte Schreiber nach durchschnittlich drei Buchstaben den Stift vom Papier ab. Das entspannt die Handmuskulatur und es ermöglicht, überflüssige Schreibbewegungen auf dem Papier zu vermeiden. ” (zit. n. Grundschule Aktuell Spezial: Grundschrift warum und wie, S. 12)

Kommentar: Auch hier wird dem Leser wieder die übliche Vorgehensweise präsentiert: Man behauptet, Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen darzustellen, ohne eine einzige belegende Literaturstelle anzuführen. Niemand hat die Möglichkeit, die Behauptungen und deren Wahrheitsgehalt nachzuprüfen. Mittlerweile verändert sich die Angabe über die Anzahl von verbunden geschriebenen Buchstaben auf "durchschnittlich drei". Und auch die Entspannung der Muskulatur ist für den Grundschulverband weiterhin bewiesene Sache.

Literatur:

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